Trainings

Es kann unglaublich helfen, bestimmte Situationen im Vorhinein zu trainieren, um den Stress auf einer Aktion zu verringern und hilfreiche Verhaltensweisen für sich selbst zu entdecken und zu lernen. Alle oben genannten Situation können alleine oder mit einer Gruppe in einer ruhigen Umgebung simuliert werden und dich/ euch darauf vorbereiten, worauf du/ihr am besten achtet, wenn es zum Ernstfall kommt. Jede Sehschwäche ist unterschiedlich und so auch die verschiedenen Bedürfnisse während Aktionen.

Alleine kannst du am besten deinen persönlichen Zugang zu deiner Sicht finden: Wieviel siehst du ohne Sehhilfe und wie orientierst du dich, wenn du keine Sehhilfe zur Verfügung hast? Wie interagiert deine Sehhilfe mit deinem Aktionsoutfit? Welche Sehhilfe(n) und was für Zubehör benötigst du und wo lagerst du diese? Wie schnell kannst du deine Sehhilfe wechseln und was folgt daraus?

In einer Gruppe könnt ihr einiges mehr simulieren und euch auch konkreter auf Stresssituationen vorbereiten, indem ihr Rollen verteilt und so auch euer Verhalten in einer Konfrontation trainieren könnt. Zudem kann es helfen eure Kommunikation ohne, oder mit wenig Sicht, zu üben, um instinktiv barrierearm denken und handeln zu können.
Hier nun ein paar Ideen für verschiedene Trainings. Vielleicht bist du auch kreativ und entwickelst deine eigenen Methoden; schick uns gerne eine Mail, wenn du etwas entdeckst, was für dich sehr hilfreich ist!

Orientierung ohne Sehhilfe

Allgemein kann es helfen, im Alltag das Agieren und Wahrnehmen ohne Sehhilfe zu üben. Allein schon die Gewöhnung daran, sich an größeren Formen zu orientieren, mehr mit dem Gehöhr zu arbeiten, Mimik und Gestik an gröberen Bewegungen zu lesen und eventuell eine gewisse Hilflosigkeit besser zulassen zu können, kann im Aktionskontext ungemein beruhigen und helfen.

Je nachdem wie stark deine Sicht eingeschränkt ist, solltest du hier eventuell in langsamen Schritten vorgehen und Distanzen, die du ohne Sehhilfe zurücklegst, Stück für Stück vergrößern. Als Anfang bietet sich z.B. der nächtliche Gang zur Toilette, dann kannst du langsam schauen, ob vielleicht mal das ganze Frühstück ohne Sehhilfe möglich ist, und so weiter. Das Ganze kann mensch super als kleines Spiel sehen. Mit der Zeit dürfte dir das grundsätzliche Orientieren und Lesen deiner Umgebung leichter fallen. Nimm dir am besten aktiv Zeit für das Üben, mit Konzentration fällt dir der Übergang vom Bewussten ins Unterbewusste vielleicht leichter. Du kannst dir auch selbst Aufgaben stellen und schauen, ob du für sie eine Sehhilfe brauchst, oder ob du sie ohne klare Sicht nicht bewältigen kannst. Wenn du etwas nicht schaffst, überleg dir Wege, wie dir etwas, oder jemensch anders, helfen kann dies trotzdem zu schaffen.

Brillenwechsel trainieren

Wenn du mehrere Brillen hast, kann es hilfreich sein das Wechseln von diesen zu üben, da der Moment des Brillenwechsels auf Aktion häufig leider in stressigen Situationen geschehen muss und das Auge meist einen Moment braucht, um sich an eine leicht andere Schärfe, Form, oder Tönung zu gewöhnen. Teilweise führt so ein Brillenwechsel bei manchen Leuten sogar zu Schwindelgefühlen oder Orientierungslosigkeit, die bis zu einer halben Stunde andauern können. Den Wechsel in verschiedenen Umgebungen und bei verschiedenen Lichtverhältnissen zu trainieren, kann die Gewöhnungszeit deutlich verkürzen und Desorientierung entgegenwirken. Wenn du eine Brille, die du auf Aktion verwenden willst, im Alltag nicht trägst, kann es auch helfen sich im Vorhinein an diese zu gewöhnen, damit das Auge weiß, womit es zu arbeiten hat.

Zudem hast du mit so einem Training auch die Möglichkeit zu üben, wo du deine Brille(n) sinnvoll verstauen kannst und wie lange du dafür brauchst, also auch wieviel Zeit und Schutz du auf Aktion benötigst, um dies zu tun.

Hilfs- und Übersetzungstraining mit Bezugsgruppe

Um dich auf eine konkrete Stresssituation auf Aktion vorzubereiten, gibt es ein Paar Szenarien, die mit einer Gruppe durchspielbar sind, um euer Verhalten zu üben, wenn eine Person ihre Sehhilfe verliert oder nicht mehr benutzen kann. Hier ist es erst mal wichtig, Zusammenhalt in der Gruppe zu stärken und Verständnis dafür zu schaffen, bei was Menschen konkret Hilfe gebrauchen können. Uns sind hier verschiedene Bereiche aufgefallen.

Zuerst ist die visuelle Kommunikation schnell gestört, Gestik und vor allem Mimik sind nicht mehr gut erkennbar. Das kann dazu führen, dass in der eigenen Gruppe Sachen nicht oder falsch verstanden werden, vor allem, wenn die Situation hektisch ist oder nicht laut geredet werden sollte. Hier wäre eine Möglichkeit, in eurer Gruppe eindeutige gut erkennbare Signale abzumachen und zu trainieren. Klar lesbare Handzeichen und leicht verständliche Codewörter können euch das Leben einfacher machen. Diese sollten von normalem Verhalten klar trennbar und auch von der nötigen Entfernung zu erkennen sein. Übt hier am besten, wie weit betroffene Menschen diese Signale noch erkennen können und passt diese entsprechend an.

Die Kommunikation kann aber auch nach aussen gestört sein, was heißt, dass die Bewegungen von Cops, Nazis, o.ä. nicht mehr verstanden werden. Unser Ansatz ist hier, die Menschen, die keine eingeschränkte Sicht haben, als »Übersetzer*innen« zu sehen. Falls ihr diese Methode verwenden wollt, wäre es wichtig, dass der Bezugsmensch vom Menschen mit Sehhilfe diese Aufgabe möglichst konsequent übernimmt und dies auch in Stressituationen tun kann. Hier könntet ihr im Vorhinein üben, Bewegungen, Aktionen und Emotionen kurz und genau zu beschreiben, damit es euch im Stress einfacher fällt, der Person mit eingeschränkter Sicht ein möglichst genaues Bild der Situation zu geben. Zum Trainieren könnte sich hier ein viel besuchter Platz oder eine ruhige Demonstration eignen.

Stresstraining ohne Sehhilfe

Falls du in eine schwere Stresssituation kommst, z.B. eine Wegrennsituation oder andauernde Gewalteinwirkung von außen, wird Desorientierung und Hilflosigkeit schnell schlimmer. Für solche Momente lohnt es sich, so eine Situation simuliert zu haben, damit du lernen kannst, wie du dich trotz eingeschränkter Sicht selbst schützen, den Stress bewältigen und Hindernisse erkennen kannst.

Um dies zu simulieren, brauchst du eine Gruppe von am besten mindestens vier Menschen, je mehr desto besser, und einen Ort mit ausreichend Platz und ohne übermäßig gefährliche Hindernisse. Um das Stressgefühl besser zu simulieren, kann sich die Person ohne Sehhilfe mehrmals schnell im Kreis drehen, bevor alles losgeht.

Der Ausgangspunkt der ersten Methode, die wir versucht haben, ist, dass sich eine Person ohne Sehhilfe in die Mitte eines Kreises von »attackierenden« Menschen stellt. Das Ziel der Übung ist es die empfindlichen Stellen des Körpers zu schützen, ohne komplett handlungsunfähig zu werden. Die Aufgabe der umzingelnden Menschen ist es, die Person in der Mitte abwechselnd mit angemessener Kraft zu schlagen (! nicht grenzüberschreitend stark, aber stark genug, um Stress aufkommen zu lassen – klärt ab, was für wen ok ist und was nicht mehr !) und die Hände mit den Handflächen nach vorne zu präsentieren. Die Person in der Mitte hat zur Aufgabe sich selbst zu schützen (am wirksamsten empfinden wir hier eine leicht geduckte Stellung, mit den Händen im Nacken und den Ellenbogen seitlich vom Kopf), aber auch aufmerksam zu bleiben und die präsentierten Hände der umstehenden Personen wann möglich abzuklatschen. Die Person in der Mitte gibt das Signal zum Abbruch, wenn sie die Dauer/Intensität als genug empfindet.

Der Ausgangspunkt der zweiten Methode ist wie bei der ersten, nur dass eine helfende Person in der Mitte dazukommt. Das Ziel der Übung ist es, aus dem Kreis auszubrechen und aus der Reichweite der Hände der umgebenden Personen zu kommen. Die umgebenden Personen haben wieder die Aufgabe Stress zu kreieren, durch Schläge oder andere Maßnahmen, die die Personen in der Mitte für angemessen halten. Die Aufgabe der helfenden Person ist es, sich selbst zu schützen und der Person mit eingeschränkter Sicht Lücken und freie Wege zu zeigen. Ein Arm um die Schulter hat uns hierbei geholfen. Die Person mit eingeschränkter Sicht kann sich so darauf konzentrieren, Hindernisse zu erkennen und nicht zu stolpern.
Es gibt natürlich noch viele andere Möglichkeiten, und auch diese Übungen sind beliebig modifizierbar. Es gibt verschiedenste Aktionstrainings, die sich umgestalten lassen, sodass sie helfen können das Agieren ohne Sehhilfe zu trainieren (Ihr findet zum Beispiel viele Übungen im »Handbuch für Aktionstrainings« von Skills for Action). Denkt aber bitte daran, dass jede*r andere Grenzen hat und diese bei solchen Übungen besonders einfach überschritten werden können! Achtet aufeinander und sprecht darüber, was für euch okay ist und was nicht!

Nacht- und Dämmerungstraining

Viele Menschen mit Sehschwächen haben besondere Probleme im Zwielicht oder in der Dunkelheit; wir haben hier keine speziellen Trainings ausprobiert, halten es aber grundsätzlich für sinnvoll, die anderen Übungen auch bei verschiedenen Lichtverhältnissen zu üben und zu schauen, wie deine Sicht mit Taschenlampen oder ähnlichem interagiert. Danach kannst du anpassen, wieviel Licht du wann verwendest und wie du mit eventuellem Geblendet-Werden umgehst. Wenn du hier große Problem hast, könnte es helfen, das an die Bezugsgruppe weiterzutragen, damit niemand dich aus Versehen blendet, oder du Hilfe bekommen kannst, wenn du von Gegner*innen geblendet wirst.

Es kann sehr hilfreich sein, euch anfangs nicht zu unterschätzen und erst einmal zu schauen, wie stark sich euer Auge an Lichtverhältnisse anpassen kann, bevor ihr künstliches Licht verwendet; diese Anpassung dauert eine Weile, also versucht nicht zu ungeduldig zu sein. Falls ihr nur kurz Licht braucht, könnt ihr den Anpassungseffekt umgehen, in dem ihr euch ein Auge zuhaltet, während das Licht an ist.